Sex sells, soviel steht fest. Doch muss man sich die Frage gefallen lassen, inwieweit das Objekt der Begierde sich freiwillig verkauft oder dazu gezwungen wird. In den vorliegenden zehn Folgen der ersten Staffel von Matrioshki wird versucht, die letztere Variante zu beleuchten. Die belgische Fernsehproduktion nach dem Drehbuch von Marc Punt zeichnet beruhend auf realen Fällen den Leidensweg junger Mädchen aus Russland und Litauen in belgische Striplokale nach.
In der verschneiten litauischen Hauptstadt Vilnius lädt Ray van Mechelen mehrere Mädchen zum Vortanzen ein; angeblich such dieser Go-Gos für angesagte Clubs in Westeuropa. Die doch recht naiven Mädchen wittern die Chance, ihre von Arbeitslosigkeit und Trübsal geprägte Familie und Heimat hinter sich zu lassen. Immer wieder betont van Mechelen, dass dies eine einzigartige Möglichkeit wäre und übt dezent Druck auf die Mädchen aus, den Vertag zu unterschreiben. Problem hierbei ist: Dieser ist auf Griechisch verfasst und sieht zudem vor, dass die Eltern mit 3000 EUR haften, falls die Mädchen gegen den Vertrag – von dem sie nicht wissen, was wirklich in ihm steht – verstoßen. Die Tänzerinnen tun alles, um nach Westen mitgenommen zu werden – und wer dennoch zu unbequeme Fragen stellt und droht, die Polizei einzuschalten, wird beseitigt.
Auf Zypern findet die Ausbildung statt. Zum ersten Mal werden die Glücklichen, die sich im Urlaub wähnen, offensichtlich mit der Gewalt der Schieber konfrontiert; wie auch mit ihrer zukünftigen Aufgaben, die Hüllen fallen zu lassen. Erste Fluchtversuche scheitern. Schließlich in Antwerpen angekommen, verfliegen die letzten Zweifel, dass die Seifenblase ihres großen Traumes zu platzen scheint. Desillusioniert und ihrer Pässe beraubt sind die Mädchen den Menschenhändlern und den Gästen im Club 69 ausgeliefert, in dem es nicht nur ums Strippen geht, sondern auch ins Séparée und den VIP-Room.
Ab diesem Punkt zeichnet die Serie einen ständigen Wechsel zwischen Auflehnung und Anpassung, bei dem ein Happy End ausgeschlossen werden kann – so erschütternd sind die Erlebnisse der Mädchen aus Osteuropa. „Matrioshiki“ ist eine ambitionierte Fernsehserie, die schonungslos versucht, die Menschen verachtenden Machenschaften des Rotlichtmilieus aufzudecken – ohne St.-Pauli-Romantik.
Vielleicht kritisch anzumerken bleibt, dass der Betrachter nicht ständig in Fassungslosigkeit erstarrt, sondern sich durchaus gut unterhalten weiß und dem weiteren Verlauf entgegenfiebert. Weiterhin bleiben doch viele Charaktere an ihren Stereotypen haften: der schleimige Mädchenhändler Ray van Mechelen, der ehrwürdige und an alte Zeiten denkende Patron John Dockx, dessen durchgeknallter Sohn Vincent, der gutmütige Türsteher Danny, der naive Aussteiger Mike, der Enthüllungsjournalist, der korrupte Polizist, das lüsterne sadistische Monster, der verliebte Kunde, die geldgierige Altershure, die intrigante Sripperin.
Sieht man hiervon ein wenig ab, versteht man, warum Amnesty International die Serie zu Aufklärungszwecken in Osteuropa verwendet – und attestiert ihr durchaus das Prädikat pädagogisch wertvoll uns sehenswert, denn zur Authentizität trägt auch das untertitelte Russische, Litauische und Englische bei, während dann Deutsch gesprochen wird, wo im Original das Flämische verwendet wird.
Die FSK 18 wirkt abschließend leicht übertrieben und dürfte allein aufgrund des Inhaltes vergeben worden sein, nicht allerdings wegen großer Gewaltszenen oder den paar blanken Oberkörpern. Insofern ist ein Einsatz im präventiven pädagogischen Bereich nicht möglich.