THE TALL MAN ist in gewisser Weise eine Mogelpackung. Wer den Trailer kennt, rechnet hier mit einer Geschichte um den Schwarzen Mann, vielleicht ein wenig Horror der Marke „Jeepers Creepers“ (und teilweise wird sicherlich auch ein wenig Inspiration aus diesem Film mit eingeflossen sein). Jessica Biel als liebende Mutter, die ihren Sohn David aus den Klauen eines bösen Mannes retten will… So in etwa war unsere Erwartung. Doch alles kommt anders, als man denkt!
Ein kleines Meisterwerk, das Regisseur Pascal Laugier hier abliefert. Haben wir doch nach den ersten 30-40 Minuten eine ziemlich klare Vorstellung davon, was uns im weiteren Verlauf des Films noch so alles erwarten wird, merken wir etwa bei der Hälfte, dass da irgendetwas gewaltig faul ist und so gar nicht zusammenfassen will. Bis dahin läuft der Streifen in absehbaren Bahnen ab. Eine Stimme aus dem Off erklärt, dass der kleine Ort, in dem sich alles abspielt, dem Untergang geweiht ist. Nachdem die Mine geschlossen wurde, herrscht hier Frustration, Arbeitslosigkeit und vor allem Hoffnungslosigkeit, dass da mal bessere Zeiten kommen werden. Zu allem Überfluss sind in diesem Landstrich über die letzten Jahre hinweg unzählige Kinder spurlos verschwunden. Die Legende vom „Tall Man“, dem großen Mann, geht um, der die Kinder verschleppt.
Die Entführung des kleinen David, bei der die junge Krankenschwester (Jessica Biel) dem Entführer ganz dicht auf den Fersen ist, bildet erst den Anfang einer Geschichte, die sich in eine völlig andere Richtung entwickeln soll, als wir das zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon als festzementiert betrachtet haben. Selten kam ein Story-Twist so unvorhersehbar wie hier, vielleicht gerade weil vorab mit so vielen Klischees gespielt wird, die normalerweise zu einem völlig eindeutigen Ende geführt hätten. Nichtsdestotrotz wirkt THE TALL MAN an dieser Stelle nicht gezwungen oder bewusst gewollt.
Schauspielerisch glänzen Jessica Biel, Jodelle Ferland, Stephen McHattie und Samantha Ferris in recht unterschiedlichen Rollen, wirken aber alle entscheidend bei der atmosphärischen Dichte der Erzählung mit. Auch der Drehort für diesen Film hätte wohl nicht besser gewählt werden können, an jeder Ecke der kleinen Stadt sieht man den langsamen Verfall, der durch die hohe Arbeitslosenquote bedingt ist.
Wer sich gerne von einem Film völlig überraschen lässt, ist mit THE TALL MAN bestens bedient. Wer denkt, es handelt sich um einen typischen Horrorfilm, liegt völlig falsch, vielmehr kann der Streifen als intensiver Thriller angepriesen werden, der den Zuschauer ein ums andere Mal an der Nase herum führt, bis man dann endlich die Auflösung kennt. Klare Empfehlung!