Schon lange wollte ich mal in ein Rollenspielsystem mit Superhelden schauen, und mit CITY OF MIST habe ich nun endlich eins vor mir liegen. Letztendlich ist es doch genau das, was ein jeder Rollenspieler insgeheim erhofft: irgendwann soll sein Charakter ein Superheld (oder halt Superschurke) sein, und das Aufleveln und Verbessern der Attribute und Fähigkeiten ist der beschwerliche Weg dorthin. Bei CITY OF MIST fangt ihr quasi direkt als Superheld an, und das erklärt auch gleich, warum ihr hier deutlich weniger bis gar keine Werte vorfindet, wenn ihr es mit einem klassischen Rollenspiel vergleicht. Stattdessen ist CITY OF MIST ein Rollenspiel, das insbesondere auf den erzählerischen Wert der Spielsitzung Wert legt. Wer also im Rollenspiel liebt, tagelang über irgendwelchen Listen zu grübeln um die optimale Kombination aus Rasse, Klasse, Fertigkeiten und Waffentyp herauszusuchen, der ist hier falsch! Wer stattdessen eigentlich auch auf das Würfeln verzichten könnte und lieber eine spannende Geschichte miterleben und mitgestalten will, der ist hier perfekt aufgehoben. Willkommen bei CITY OF MIST!
Was natürlich als allererstes auffällt, ist die Optik des Spiels. Die Comic-Zeichnungen und der ganze Stil erinnern mich an Sin City, und das kommt sicherlich nicht von ungefähr. Rollenspiel irgendwo zwischen Marvel, DC Universe und einem Film Noir Setting, das verspricht Spannung!
Aber gucken wir doch mal, was der Klappentext dazu sagt:
„Wer bin ich?
Das ist die Frage, die dir auf der Seele brennt.
Du warst schon immer Teil zweier Welten. Die, die du die ‚echte Welt‘ nennst, ist eine Stadt voller Menschen, die ein normales Leben führen, geprägt von Leidenschaft, Selbstsucht und Verfremdung. Die andere Welt, die in deinem Inneren, birgt eine uralte Legende, ein unermessliches Mysterium, dessen Keim tief in dir vergraben liegt. Dein Alltag hat sich derart in seinen hypnotischen Bann gezogen, dass all das komplett in Vergessenheit geriet. Doch nun ist dein Mythos erwacht, und mit ihm deine unbeschreiblichen Kräfte.
Du bist eine Pforte im Nebel, eine Schleuse zwischen den schmutzbehafteten Straßen der Stadt und etwas Altbekanntem, aber dennoch Unergründlichem. Wie weit gehst du, um deine Geschichte zum Leben zu erwecken? Welche modernen Inkarnationen einer Legende außer dir gibt es noch? Zu welchen Opfern bist du bereit, um die Antworten zu bekommen, die du begehrst? Welche düsteren Kräfte wirst du ans Licht bringen? Und warum erinnert sich sonst niemand an sein wirkliches Selbst?
CITY OF MIST ist ein in einer düsteren Stadt gewöhnlicher Menschen und legendärer Kräfte angesiedeltes cineastisches Detektiv-Rollenspiel. Erschaffe deine eigenen Charaktere und durchlebe Szenen voller Action, Spannung, Offenbarung und Drama. Nutze die Fähigkeiten, die Ressourcen und selbst die Gefühle deines Charakters, um cineastische Aktionen zu befeuern, die den Verlauf eurer Geschichte prägen werden. Führe deinen Charakter durch grundlegende Wandlungen, im Zuge derer er schwere Entscheidungen treffen und große Opfer bringen wird, um Antworten zu erlangen und für das zu kämpfen, was wirklich von Bedeutung ist.
Dieses Buch enthält alles, was du als Spieler von CITY OF MIST benötigst: eine Einführung in die Kampagnenwelt, Mechaniken zur Erschaffung und Entwicklung deiner eigenen Charaktere sowie die Spielregeln.“
Das ist mal SEHR VIEL TEXT für einen kurzen Teaser, aber es ist so denke ich in diesem Fall notwendig, so viel darauf zu schreiben. Ich komme aus dem klassischen High Fantasy Bereich, habe meine ersten Schritte mit DSA gemacht, später dann auch in andere Systeme reingeschnuppert, und aktuell bin ich bei Dungeons & Dragons gelandet. Das erste, was ich bei neuen Rollenspielsystemen mache, ist, mir den Charakterbogen anzuschauen und im Buch nach Tabellen zu blättern. Beides findet sich nicht so wirklich bei CITY OF MIST. Und da sind wir auch schon beim Dilemma, das ich mir von vornherein durch den Kopf habe gehen lassen: Wenn ich einen Charakter mit Superkräften spiele, dann ist das ja so, als würde ich mit einem hochstufigen Helden beginnen. Das mag auf den ersten Blick stimmen, aber nur im Vergleich zu den „normalen“ Menschen in eurer Stadt. Aber was wäre eine Heldengeschichte mit Superhelden, in der es keine Superschurken gibt? Und somit haben wir wieder Chancengleichheit. Da mit Superkräften aber grundsätzlich alles möglich ist, bedarf es keiner Würfelorgien, um bestimmte Dinge zu tun. Deswegen ist CITY OF MIST auch in erster Linie ein narratives Spiel, dass viel auf die Story achtet, auf die Charakterzüge eurer Spielercharaktere (und eben nicht so sehr auf Attribute) und auch darauf, wie ihr eure Figur verkörpert.
Wie erschafft man denn nun einen Superhelden? Der Aufbau ist, wenn man es erst einmal komplett durchschaut hat, recht simpel, erscheint auf den ersten Blick aber verzwickt: Ein Charakter besteht aus vier Themen, und zwar Mythos-Themen, die eure „Hingabe“ zum mythischen Thema darstellen, sowie Logos-Themen, die eure Zugehörigkeit zu eurem „gewöhnlichen“ Leben darstellen. Diese Themen können entweder ausgeglichen oder überwiegend einer Seite angehören, niemals aber komplett Mythos oder Logos, denn in dem einen Fall wäret ihr keine Superhelden mehr, im anderen hättet ihr keine Kontrolle mehr über euch…
Wenn ihr die Themen ausgewählt habt, erhaltet ihr für die Themen Merkmale, aber immer sowohl positive als auch negative. Wenn ihr als Beispiel als Merkmal die Fähigkeit „Feuerspucken“ hättet, könnte das negative Merkmal „wasserscheu“ lauten… Ein erfolgreicher Detektiv, um auch ein Logos-Thema darzustellen, könnte als Rächer bekannt sein…
Dadurch habt ihr immer noch keine „Werte“, aber diese gibt es wie gesagt auch nicht direkt. Proben werden immer mit 2W6 gewürfelt, und alles über 7 gilt als Erfolg. Euer Wurfergebnis wird dabei modifiziert durch eure Stärken und Schwächen (im Zweifel entscheidet hierbei der Spielleiter, ob ein Merkmal hierbei als Stärke bzw. Schwäche zählt). Eine 7-9 sind zwar Erfolge, allerdings unter Schwierigkeiten oder mit unerwünschten Nebenwirkungen, 10-12 sind große Erfolge, die zu einem vollständigen Erfüllen eurer Aktion führen oder sogar spektakulär gelingen. Es kann durchaus sinnvoll sein, seine Schwächen „gezielt“ einzusetzen, denn dadurch kann man auf längere Sicht seine Schwächen ausbessern.
Da CITY OF MIST sich stark an cineastischem Geschehen und Serien anlehnt, solltet ihr eine Spielsitzung mit einer sog. Auszeit beenden. Hier gibt es einen kurzen Zusammenschnitt der bisherigen Geschehnisse, und die Spielercharaktere entscheiden, was sie in der Zwischenzeit (bis zum Beginn der nächsten Spielsitzung) anstellen wollen.
Fazit: CITY OF MIST ist aus den genannten Gründen kein klassisches Rollenspiel. Film Noir, Detektivfälle, Superkräfte, diese Elemente schmeißt ihr in einen Topf, um anschließend eine spannende Geschichte daraus zu spinnen, zusammen mit den anderen Spielern und dem Spielleiter. In erster Linien geht es hier um Charakterspiel, darum, dass ihr euren Figuren Leben einhaucht, ihre Stärken und Schwächen ausspielt, ihr Verhältnis zum Mythos, der sie als Pforte benutzt, aber auch, wie die Stadt und vor allem der Nebel auf eure Figuren reagiert. An jeder Ecke könnte ein anderer Erweckter euch beobachten, und nicht alle haben das gleiche vor wie ihr.
Neben dem Spielerhandbuch gibt es zudem noch ein Spielleiterhandbuch (das wir euch hier ggf. auch noch vorstellen werden), auf der Homepage des Verlags Truant Spiele findet ihr neben den Charakterbögen auch zwei Abenteuer sowie Schnellstarterregeln zum kostenlosen Download! Wir wünschen euch spannende Fälle und eine gute Zeit in eurer Stadt, die ihr euch erdenkt und entwickelt…