Wer ganz ehrlich ist, wird feststellen, dass die Spieleindustrie momentan ein wenig an „Übersättigung“ leidet. Peter Molyneux (u.a. Fable) hat es recht treffend formuliert, indem er die Frage gestellt hat, ob die Weiterentwicklung der Industrie wohl so aussieht, dass man in einem Call Of Duty oder Battlefield mit jedem neuen Teil noch spektakulärer Dinge in die Luft fliegen lässt… Wer dann mehr oder weniger jeden Titel, der erscheint, zum Testen zugeschickt bekommt, der freut sich natürlich insbesondere dann, wenn Spiele mal einen etwas anderen Weg gehen, als man das gewohnt ist. I AM ALIVE von Ubisoft ist definitiv so ein Kandidat, der nicht dem üblichen Verlauf eines Spieles folgt. Survival? Ja, aber eben ohne Horror! Grandios!
Nach einer großen Katastrophe liegt die Welt in Trümmern. Ein Großteil der Menschheit hat nicht überlebt, die wenigen, die es geschafft haben, müssen jetzt zusehen, wie sie ihre Existenz sichern, denn logischerweise ist die Infrastruktur zusammengebrochen, Nahrungsmittel, Wasser und Medizin sind knapp, sodass der Überlebenswille aus vorher harmlosen Bürgern schießwütige Menschen hat werden lassen. Schießwütig? Nicht direkt, denn auch Waffen und Munition sind ein knappes Gut geworden. Und genau das ist einer der großen Reize bei I AM ALIVE…
Kurz vor der Katastrophe seid ihr mit einem Flugzeug unterwegs gewesen, und habt nun in den vergangenen Wochen und Monaten die USA durchquert, um nun endlich in eurer Heimatstadt Haventon anzugelangen. Warum ihr diese Strapazen auf euch genommen habt? Frau und Kind sind, so hofft ihr, noch am Leben. Allerdings ist euer Zuhause verlassen. Es gibt allerdings Spuren, denen ihr folgen könnt.
Die grafik ist kataklystisch. In sich zusammengefallene Wolkenkratzer, Gebäuderuinen, aufgebrochene Straßen und aufgestapelte Barrikaden zieren den Bildschirm, wo immer ihr auch hinschaut. Eine riesige Staubwolke liegt auf vielen der Straßenschluchten, die zusätzlich zur ohnehin schon anstrengenden Odyssee an euren Kräften zehrt. Ausdauer ist neben der Ressourcenknappheit ein elementares Thema bei I AM ALIVE. Eure Spielfigur muss in vielen Situationen klettern, um von A nach B zu gelangen. Wer schon einmal an einer Kletterwand gehangen hat, weiß, wie anstrengend das ist. Eine Ausdauerleiste zeigt euch, wie weit ihr noch kommt, ohne euch zu überanstrengen. Geht sie zur Neige, solltet ihr schnellstens einen Punkt finden, an dem ihr durchatmen könnt. Gelingt euch das nicht, könnt ihr zwar noch eine Überanstrengung wagen und doch noch einen Ruhepunkt finden, das geht aber auf die Maximalausdauer… Während ihr durch pures Stehen eure Ausdauer regenerieren könnt, bleibt eure Gesamtausdauer bei Überanstrengungen bei einem niedrigeren Wert stehen, bis ihr euch erholt habt, zum Beispiel durch etwas zu trinken oder einen Müsliriegel etc.
Es gibt auch eine Anzeige für Lebensenergie (schließlich könntet ihr mit den anderen Überlebenden durchaus in den Nahkampf oder einen Schusswechsel geraten), allerdings sind Begegnungen, in denen ihr nicht von vornherein die Oberhand habt, meist die letzte Situation, bevor ihr an einem Wiedereinstiegspunkt erneut ins Level geworfen werdet. Diese Punkte sind sporadisch gesetzt, und ihr könnt einen Abschnitt auch nur bedingt oft wiederholen. Habt ihr es nicht geschafft, müsst ihr das Level komplett von vorne versuchen.
I AM ALIVE zwingt euch dauerhaft, mit euren Habseligkeiten hauszuhalten. Benutze ich an dieser Wand einen Kletterhaken, oder strenge ich mich lieber mehr an und hoffe, dass ich irgendwo etwas zu trinken finde? Gebe ich den Bedürftigen hier einen Verbandskasten (und erhalte dafür einen Wiedereinstiegsversuch zusätzlich), oder überlasse ich sie ihrem Schicksal und heile mich bei Zeiten lieber selbst? Bedrohe ich Leute mit vorgehaltener Waffe (egal, ob Munition drin ist oder nicht), oder gebe ich mich uninteressiert und gehe einfach weiter? Wenn ich angegriffen werde, gehe ich aggressiv vor, oder warte ich ab, bis die Gegner dicht dran sind, um sie dann mit meiner Machete zu überraschen?
In einem grafisch sowie klanglich soliden Gewand, das mit seiner tristen Farbgebung und sehr viel stillen Momenten eine hervorragende Endzeitstimmung zu verbreiten vermag, ist mir I AM ALIVE sehr schnell unter die Haut gegangen. Der Schwierigkeitsgrad ist knackig, aber nicht unlösbar. Insbesondere die knappen Ressourcen und wenigen Wiederholungsversuche erinnern an „frühere“ Spielegewohnheiten, in denen sich die Figuren durch Medipacks heilen mussten, anstatt durch einfaches abwarten wieder zu voller Stärke zu genesen. Man merkt ziemlich stark, dass dieser Download-Titel ursprünglich als Disk-Veröffentlichung geplant war, denn eine solche Qualität ist man bei Download-Spielen nicht gewohnt.